Der Apostelbrief

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Arm und Reich

Was können wir tun für mehr Gerechtigkeit?

Die Frage: »Was können wir tun für mehr Gerechtigkeit« beinhaltet auch die Frage nach der Nächstenliebe, die sich die Kirche fett auf ihre Fahnen geschrieben hat. Deshalb wollen wir uns als Christen der Gerbrunner Apostelkirchgemeinde zum diesjährigen Kirchweihfest dieser Frage stellen und versuchen, sie für uns als Gruppe oder als einzelne Personen zu beantworten.

Um das zu tun, ist es nötig die Frage in einzelne Teilfragen aufzugliedern. Außerdem kann es hilfreich sein, sich in die Situation von armen oder reichen Menschen hineinzuversetzen. Das folgende Interview mit einem exemplarischen Vertreter unserer Gesellschaft soll dies erleichtern.

Woran ist Reichtum oder Armut Ihrer Meinung nach messbar oder fühlbar?

Speziell in Deutschland in unserem persönlichen Fall überlegen wir genau, wofür wir unser Geld ausgeben. Wir rauchen nicht und trinken nicht, sind immer wieder froh, wenn wir in der Lage sind unsere Wohnung zu halten und den kleinen Garten, wo wir bald selbst Obst und Gemüse sowie Blumen ernten können. Viel Zeit brauchen wir, um Kuchen, Salate und Mittagessen selbst zubereiten zu können, ich sammle auch viel Wildfrüchte und Kräuter. Unsere Wege erledigen wir größtenteils mit dem Fahrrad, ein Auto können wir uns nicht leisten. Eine große Erleichterung ist für uns der Sozialpass, den nutzen wir auch in Bildungseinrichtungen, wie Museen, Volkshochschule und Bibliotheken in unserer Stadt.

Mein Mann arbeitet voll, verdient aber so wenig, dass wir unseren Lebensunterhalt durch ALG II ergänzen müssen. Ich selbst habe gesundheitliche Probleme, bin auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht vermittelbar und verdiene durch eine Maßnahme 175 Euro im Monat dazu. Wir sind in der Lage, und dafür sind wir, das möchte ich deutlich betonen, sehr dankbar, uns über preiswerte Angebote für Reisen und Bildungsmöglichkeiten zu informieren und diese auch wahrzunehmen. Wie viele können das nicht, weil das Leben am Rande der Gesellschaft zu viel Kraft kostet und zur Aussichtslosigkeit führt? Was uns besonders reich machte, in all den Jahren sind unsere Freunde, die uns nie fühlen ließen, dass wir in irgendeiner Weise in unserem Leben versagt hätten, sondern immer wieder die gesellschaftlichen Gründe unserer sozialen Lage sahen. Dafür herzlichen Dank!!!

Welche Erwartungen haben Sie an die Rolle der Kirche im Kampf für mehr Gerechtigkeit? Denken Sie, dass Ihre Erwartungen erfüllbar sind?

Nein, die Kirche ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

Was kann die Kirche leisten bzw. was sollte sie leisten?

Geld für soziale Projekte, vor allem Mitarbeitern zur Verfügung stellen und nicht alles dem Ehrenamt überlassen.

Gibt es andere Gruppen, Parteien, ... , von denen Sie eher erwarten, dass sie Ihre Erwartungen erfüllen können?

Nein, die haben dieselben Probleme, wie die Kirchen.

Sind Reichtum und Armut rein materielle Begriffe? Fühlen sich arme Menschen ungerecht behandelt?

Ich finde, dass arme Menschen ungerecht behandelt werden, da ihre Kompetenzen zu überleben einfach missachtet werden. Viel zu oft wird Ihnen nachgesagt, dass sie an ihrer sozialen Lage selbst schuld sind, was überhaupt jeglicher Realität widerspricht. Viele Reiche haben ganz einfach noch nicht begriffen, dass sie auf die Armen angewiesen sind, sei es, dass sie für Niedriglöhne in ihren Betrieben arbeiten. Ich kenne viele Leute mit hohem sozialen Bewusstsein, selbst, wenn sie sich in einer Krise befinden und der Kampf gegen sich selbst beginnt, einer der Schwersten.

Immer öfter lesen wir von dem Ehrgeiz und der Zielstrebigkeit von in Deutschland aufwachsenden Flüchtlingskindern aus den ärmsten Ländern der Welt, die die deutschen Kinder in ihren schulischen Leistungen überholen. Ist eine kurzzeitig am eigenen Leibe gespürte extreme materielle Not ein Anreiz zur Leistungsbereitschaft oder gar ein Motor für die gesellschaftliche Entwicklung?

Dazu habe ich eine kurze Antwort. Diese Kinder erfuhren von Geburt an eine liebevolle vertrauensvolle Bindung zu einer oder mehreren erwachsenen Personen, seien es die Eltern oder andere. Da spielt Geld die geringere Rolle, sondern das Urvertrauen dieser Kinder in unsere Welt und zu sich selbst. Diese Kinder sind seelisch so gesund, dass sie in der Schule gute Leistungen vollbringen und später in der Lage sind, sich ein erfülltes Leben aufzubauen.

Das Gespräch führte unser Redaktionsmitglied Uta Graupner