Der Apostelbrief

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Auf ein Wort

Autor

Liebe Gemeinde,

Ich war nicht Charlie. Aber bunt.

Erinnern Sie sich noch an die vielen Demos und Solidaritäts­bekundungen mit der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ im Januar nach den Anschlägen auf deren Redaktion? Auch bei uns trug plötzlich jeder, der etwas auf sich hielt, ein „Je suis Charlie“-Schildchen vor sich herum. Dabei hatten die wenigsten davon wahrscheinlich je einen Blick in diese Zeitung geworfen. Auch das von mir sehr geschätzte Aktionsbündnis „Campact“ forderte seine Unterstützer auf, eine entsprechende Unterschriftensammlung zu unterzeichnen. Diesmal machte ich nicht mit. Die Karikaturen, die ich in den Medien zu sehen bekam, machten mich nachdenklich. Sie zielten teilweise tief unter die Gürtellinie glaubender Menschen. Und ich fragte mich: Muss ich wirklich für wahr und richtig halten, dass im aufgeklärten Europa die Meinungs- und die Pressefreiheit über allem anderen stehen? Beginnt unser Grundgesetz nicht mit den Worten „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ und stellt damit diese Würde über alle dann zu nennenden Freiheiten? Und ist das nicht auch in gewisser Weise ein Anschlag auf die Würde eines Menschen, wenn man seinen Glauben der öffentlichen Lächerlichkeit preisgibt? Muss nicht schließlich auch die Pressefreiheit da eine Grenze finden, wo die Achtung vor den tiefsten persönlichen und religiösen Gefühlen eines Menschen in Gefahr gerät?


Das soll nichts entschuldigen. Schon gar keinen gewalttätigen Anschlag. Keinen unduldsamen Islamismus. Doch man muss sich fragen, ob es nicht auch seelische Gewalt und Verletzungen gibt, die bisher nicht fanatisierte Menschen den Extremisten in die Arme treiben. Darum war ich nicht Charlie.

Aber ich war „bunt“. Als Teilnehmer der „Würzburg ist bunt“-Demonstration lief ich unter dem Transparent „Gerbrunn ist bunt“. Warum? Unter anderem, weil ich selbst von meiner Herkunft her bunt bin. Meine Großmutter trug den Mädchennamen Krejči und war eine waschechte Tschechin, fühlte sich aber, im Sudetenland aufgewachsen, als Deutsche. Nach dem Krieg floh sie mit ihrer Tochter in den Westen und kam in Hof an. Dort lernte die Tochter einen jungen Oberfranken mit sehr dunklen Haaren kennen. Untypisch eigentlich. Vielleicht hatte da vor Generationen mal ein Südeuropäer oder ein Wende seine Finger mit im Spiel. Als eines ihrer Kinder trage ich also schon recht bunte Gene in mir. Wie so viele andere in Deutschland auch. Wir sind längst bunt und sollten uns darüber freuen und Neuankömmlinge - insbesondere Flüchtlinge - willkommen heißen. Genau das gebietet die Achtung vor der Würde eines jeden Menschen. Oder christlich gesprochen: Das Wissen um seine Gottesebenbildlichkeit.

Mit bunten Frühlingsgrüßen,

Ihr Pfr. J. Riedel