Der Apostelbrief

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Mein Jakobsweg im Oktober 2013


Jakobsweg

»Und warum bist du auf dem Jakobsweg?« – eine der Fragen, die auf dem »Camino de Santiago«, der spanischen Etappe des Jakobsweges, eine der Häufigsten bei neuen Begegnungen war. Allerdings hatte ich nicht einmal eine richtige Antwort darauf... »Eigentlich weiß ich das gar nicht so genau...« war somit fast immer meine Reaktion. Doch damit war ich nicht wie die meisten der Menschen, die sich auf den Fußmarsch von 800km quer durch Nordspanien begaben. Religiöse und spirituelle Gründe galten neben Problemen oder großen Veränderungen im Leben meistens als Motiv. Aber auch der sportliche Aspekt, das kulturelle Erlebnis und die angenehme Ruhe der Natur zogen Menschen aus der ganzen Welt auf den Pilgerweg des Heiligen Jakobus. Die Liste der Länder, aus denen die Menschen, die ich traf, kamen, ist lang und vor allen Dingen sehr abwechslungsreich: Kanada, USA, verschiedene mittel- und südamerikanische Staaten, Südafrika, Australien, Neuseeland, Singapur, Südkorea, Russland, aber natürlich auch europäische Staaten wie Ungarn, Polen, Österreich, Deutschland, Italien, Belgien, die Niederlande, United Kingdom, Irland, Dänemark, Schweden, Frankreich und selbstverständlich auch Spanien. Mich hat das zuerst sehr verwundert, da ich dachte, dass dies eher eine Sache der Europäer wäre und ich nicht wusste, dass der Spanische Jakobsweg tatsächlich weltweit so bekannt war. Doch Bücher bzw. deren Autoren und sogar aktuelle Filme (Saint-Jacques... La Mecque[2005], The Way[2010]) trugen sehr zur Bekanntheit des Pilgerweges bei. Erstaunt war ich auch über die Startpunkte der verschiedenen Pilger. Zwar begann der Großteil im französischen Saint-Jean-Pied-de-Port, kurz vor der spanischen Grenze, am Fuße der Pyrenäen – es gab allerdings doch nicht wenige, die direkt von zu Hause starteten. Dies konnte Nordfrankreich, Belgien, Deutschland oder sogar Süditalien bedeuten und damit eine Verlängerung der üblichen vier bis sechs Wochen auf mehrere Monate.

Mein persönlicher Jakobsweg begann Anfang Oktober in Logrono, etwa 650km entfernt vom Ort des Grabes des Heiligen Jakobus – Santiago de Compostela – dem Zielort der Pilger. Diese Zeit war meiner Meinung nach sehr gut gewählt, da es zwar noch ausreichend Mitpilger gab, jedoch nicht so viele wie zu Stoßzeiten, zu denen man wirklich wenig Ruhe und Zeit für sich findet und teilweise auch in Stress bzgl. der Herbergssuche gerät. Außerdem waren die Temperaturen sehr angenehm. Noch ein Grund, der dazu führte, dass man so lange oder auch langsam laufen konnte, wie man wollte ohne um einen Platz in der Herberge bangen zu müssen. Ich lief also los – allein, mit eigentlich nicht so großer Ahnung, was auf mich zukommen würde. Aber direkt am ersten Tag traf ich bereits sehr nette und auch interessante Menschen, die mich mit ihrer Offenheit sehr herzlich auf dem Jakobsweg empfingen. Die im Schnitt knappen 30km pro Tag absolvierte ich teilweise allein, teilweise aber auch mit Laufpartnern, mit denen man sich die Zeit etwas verkürzen konnte. Eine lustige Sache war, dass man Leute generell mehrfach traf – egal ob an Tagen direkt hintereinander oder am ersten und am letzten Tag der Reise. Ein wirklich wunderbarer Effekt des Caminos! Man konnte die Strecke in verschiedensten Laufstilen hinter sich bringen, angepasst an Alter, Fitness, zeitlichen Rahmen der Reise, aber auch an die eigene Laune und selbstverständlich das Wetter. Der Tagesablauf war stets sehr ähnlich: Aufstehen kurz vor Sonnenaufgang (etwa 7:00/7:30 Uhr), Laufen, Ankunft in der Herberge (zwischen 14:00 und 17:00 Uhr) mit anschließendem Duschen, eventuellem Wäschewaschen und Siesta-Halten. Dann begann der wirklich gesellige Teil des Pilgerns.

Zum Abendessen tat ich mich gern mit anderen zusammen: Wenn eine Küche vorhanden war zum gemeinsamen Kochen und sonst zum Einnehmen eines der vielen Pilgermenüs, bestehend aus Vor-, Haupt- und Nachspeise, Brot und Wein bzw. Wasser. Die Nachmittags- und Abendstunden verbrachte ich sehr gerne in redsamer oder auch gesanglicher Runde mit den anderen Pilgern. Und obwohl man sich eigentlich gar nicht kannte, verschiedene Sprachen sprach und teils so unterschiedlich war, verstand man sich meist auf Anhieb und kam gesprächstechnisch schnell auf eine sehr private Ebene. Ich kann nicht genau sagen, woran dieser Effekt lag: die Offenheit der Menschen, die Einfachheit des Caminos, das gemeinsame Ziel oder einfach ein Gemisch aus den verschiedensten Aspekten, die zur Atmosphäre des Jakobsweges beitrugen. Auf jeden Fall waren dies abendliche Momente, in denen man sich einfach nur wohl und heimisch gefühlt hat und ein gewisses Gefühl der Sicherheit erlangte – und zwar mit all seinen Macken, Problemen und Eigenheiten.

Jakobsweg

Relativ früh ging man zu Bett (zwischen 21:00 und 22:30 Uhr), da man von dem Tag doch sehr erschöpft war und auch für den nächsten Tag wieder fit sein wollte. Zudem gab es in fast jeder Herberge eine Bettruhe um etwa 22:00 Uhr, was allerdings niemanden wirklich störte. Meine Ankunft in Santiago war für mich persönlich nicht ganz so einschneidend wie für manch andere, was bestimmt auch daran lag, dass ich etwas kürzer als die meisten gelaufen war. Allerdings begab ich mich danach noch auf den Weg nach Fisterra – dem »Ende der Welt«, als das es im Mittelalter galt. Mit dem Blick auf das Meer wurde mir – so wie den meisten in Santiago – allerdings klar, was ich hinter mich gebracht hatte. Es war ein einmaliges Gefühl nach etwa 750km Land das erste Mal die unendlichen Weiten des Ozeans zu sehen und ich kann nicht leugnen, dass es mir und auch vielen anderen, die dort mit mir zusammen in der Herberge waren, unglaublich nahe ging. Dazu muss allerdings auch gesagt werden, dass eben diese Herberge fast schon ein »Tempel der Ruhe und Geborgenheit« war und damit auch sehr zu unserem Gefühl der Ankunft beitrug. Die letzten Tage gemeinsam mit meinen Mitpilgern waren sehr emotional, auch weil wir alle wussten, dass wir uns vermutlich nie wieder sehen würden... Ich habe so viele Menschen, die ich in Wirklichkeit überhaupt nicht kannte, in mein Herz geschlossen und bin ihnen so unglaublich dankbar, dass sie mich begleitet, mich angenommen haben, so wie ich bin und mir die Möglichkeit gaben, mein Herz auszuschütten, gleichzeitig aber auch mein Herz für deren Probleme und Weisheiten zu öffnen. So wurde für mich der Camino nicht nur zu einem Weg der Ruhe in der Natur oder dem kulturellen Erlebnis, sondern insbesondere ein Weg der Begegnung, des gegenseitigen Austauschs und der Öffnung gegenüber anderen.

Henriette Stark

Jakobsweg