Der Apostelbrief

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Klassiker

Autor

Wie einfach war das in der Kindheit: Wenn etwas zu Bruch gegangen war, oder nicht geklappt hat, ist man zu seinen Eltern gelaufen und die haben alles wieder in Ordnung gebracht – naja, meistens jedenfalls.

Später als Jugendliche oder Jugendlicher musste man feststellen, dass die eigenen Eltern weder alles wissen, noch alle Hindernisse aus dem Weg räumen können. Derart desillusioniert machte man sich auf den Weg ins Erwachsenenleben.

Und nun muss man eben selber mit den Realitäten zurecht kommen: der Ungerechtigkeit der Gesetze, dem ebenso unfähigen wie nervigen Chef und seinen unmöglichen Forderungen, dem Mobbing der Kollegen und eventuell den aufmüpfigen Untergebenen. Man ist auf sich gestellt, wenn die Kinder Wege gehen, die man für falsch oder sogar verhängnisvoll hält. Erwachsen eben.

Und am Sonntag geht man in den Gottesdienst, in dem das wohlbekannte Paul-Gerhardt-Lied „Befiehl du deine Wege“ (EG 361) gesungen wird. Aber wieder nur die ersten vier Strophen! Dabei hat der Text von Paul Gerhardt zwölf Strophen. Die interessantesten für alle Erwachsenen, die gerade dabei sind, ihr Leben zwischen Familie, Beruf, Gemeinde und vielleicht noch dem einen oder anderen Hobby im Gleichgewicht zu halten, stehen allerdings weiter hinten (7 bis 10).

Paul Gerhardt, der diese Verse am Ende oder kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg geschrieben hat, steht nicht im Verdacht, nur die heiteren Seiten des Lebens zu kennen – im Gegenteil. Er schreibt uns ins Stammbuch oder besser ins Gesangbuch:

„Auf, auf, gib deinem Schmerze
und Sorgen gute Nacht,
lass fahren, was das Herze
betrübt und traurig macht;
bist du doch nicht Regente,
der alles führen soll,
Gott sitzt im Regimente
und führet alles wohl.

Ihn, ihn lass tun und walten,
er ist ein weiser Fürst
und wird sich so verhalten,
dass du dich wundern wirst,
wenn er, wie ihm gebühret,
mit wunderbarem Rat
das Werk hinausgeführet,
das dich bekümmert hat.

Er wird zwar eine Weile
mit seinem Trost verziehn
und tun an seinem Teile,
als hätt’ in seinem Sinn
er deiner sich begeben,
und sollt’st du für und für
in Angst und Nöten schweben,
als frag er nichts nach dir.

Wird’s aber sich befinden,
dass du ihm treu verbleibst,
so wird er dich entbinden,
da du’s am mindsten glaubst;
er wird dein Herze lösen
von der so schweren Last,
die du zu keinem Bösen
bisher getragen hast.“

Heute würde man das im Details anders formulieren. Aber ihrem Sinn nach ist der Text von Paul Gerhardt auch nach 350 Jahren aktuell und ergreifend.

Ein echter Klassiker eben.

-pv-