Der Apostelbrief

Juni - Juli 2013
Voriger Apostelbrief
Apr. - Mai 2013
Nr. 98
Nächster Apostelbrief
Aug. - Sep. 2013

Soviel du brauchst

Eindrücke vom Kirchentag in Hamburg


Kirchentag

Was haben sich wohl die Organisatoren gedacht, als sie diesen Halbsatz zur Kirchentagslosung für den 34. Deutschen Evangelischen Kirchentag, der vom 1. – 5. Mai in Hamburg stattfand, gewählt haben?

Im Eröffnungsgottesdienst wurde auf den verschiedenen Bühnen in der Stadt diese Losung in ihren Kontext gestellt. Der Bibeltext berichtet vom Volk Israel, das in der Wüste unterwegs ist und angesichts der Mangelerfahrung und der Mutlosigkeit mit Gott hadert. Gott beschließt, sein Volk mit Himmelsbrot zu versorgen, dem Manna, das vom Himmel kommt und in kleinen Körnern die Wüste bedeckt. Jeder ist aufgerufen, so viel zu sammeln, wie er braucht, nicht mehr und nicht weniger.

Kirchentag

Die Botschaft war klar. Der Text ist Ermutigung und Zuspruch: Du Mensch bekommst von Gott soviel du brauchst. Du wirst genug zum Leben haben. Es macht aber auch klar: Nimm dir nicht mehr, als das, was du brauchst. Das Übermaß verdirbt – vielleicht auch den Charakter.

In den Tagen in Hamburg wurde das nun in vielen Bibelarbeiten, Vorträgen, Foren, Podien und Gottesdiensten durchbuchstabiert. Im Mittelpunkt standen viele gesellschaftspolitische Themen und Fragestellungen wie Verteilungsgerechtigkeit und verantwortungsbewusstes Wirtschaften, Bankenkrise und Energiewende. Es ging um die Frage, wie junge Menschen einen Zugang zu Bildung und Ausbildung finden, um Fordern und Fördern, aber auch um die Frage, wie Inklusion gelingen kann. Und natürlich kamen auch die innerkirchlichen Themen nicht zu kurz. Ökumenische Themen und der interreligiöse Dialog nahmen genauso Raum ein, wie die Frage, wie unterschiedliche Menschen und Gruppen in der Kirche ihren Platz finden können: ein buntes Programmangebot mit über 3000 Veranstaltungen, das für jeden etwas bot.

Kirchentag

Für mich persönlich war der Kirchentag eine Zeitansage, die mich sehr ermutigt hat, aber die mir auch deutlich gemacht hat, dass Christsein und gesellschaftspolitische Verantwortung zusammen gehören. In den Bibeltexten der Bibelarbeiten steckte sozialpolitischer Sprengstoff und es hat mich sehr zum Nachdenken gebracht, wie nicht nur Wolfgang Huber, der ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, dafür geworben hat, dass gerade wir Christen die Hoffnungsträger sein sollen, die die Menschen nicht auf eine bessere Zukunft in einer jenseitigen Welt vertrösten, sondern die sich für Veränderungen im Hier und Jetzt einsetzen, denn das Reich Gottes bricht sich dort Bahn, wo die Verhältnisse sich ändern.

Beeindruckt hat mich auch die Auseinandersetzung mit der Biographie der Theologin Dorothee Sölle, der angesichts ihres 10 jährigen Todestages ein liturgischer Tag gewidmet wurde. Sie, die immer auf die Ungerechtigkeiten in dieser Welt, aber auch in der Kirche hinwies, war eine streitbare Frau, die ihre politische Theologie sehr vehement vertrat und dafür auch persönliche Nachteile hingenommen hat. Und ich werde mich auf den Weg machen, herauszufinden, wie eine öffentliche Theologie, die unser Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm proklamiert, in guter Weise zu einem gesellschaftlichen Diskurs beitragen kann, in der die Kirche wieder an Profil gewinnt. »Wer fromm ist, der muss auch politisch sein.« So sagte er in einer Veranstaltung, die sich mit der Frage beschäftigte, ob es eine neue ökumenische Sozialethik brauche. Es gehe darum, dass die Kirche als Institution ihre »Option für die Armen« wieder ernst nehme und für alle Lebensmöglichkeiten und ein erfülltes Leben biete.

Kirchentag

Ich habe mich als Dekanatseniorenbeauftragte darüber hinaus viel mit den Themen rund ums »Älter werden« beschäftigt. Da war die Frage nach dem ehrenamtlichen Engagement von älteren Menschen genauso wichtig wie die Frage, warum Sexualität im Alter ein Tabuthema ist.

Darüber hinaus habe ich vieles erlebt, was nicht in Worte zu fassen ist: das bunte Leben in der Stadt am Abend der Begegnung, die vielen Initiativen in der Kirche, die sich auf dem Markt der Möglichkeiten vorgestellt haben, der strahlende Sonnenschein, die Gastfreundschaft der Hamburger, die vielen Begegnungen mit guten Freunden, aber auch mit wildfremden Menschen, wunderschöne Musik und witzige Kabarett Veranstaltungen. Neben all den Vorträgen, Bibelarbeiten und Gottesdiensten hat auch all das zum Gelingen dieses Kirchentages beigetragen. »Lasst Kirchentag sein, über den Kirchentag hinaus«, so sagte es der Kirchentagspräsident Gerhard Robbers im Rahmen des Abschlussgottesdienstes. Vielleicht gelingt es ja, den ein oder anderen Gedanken im Alltag umzusetzen, die eine oder andere Initiative zu ergreifen und Kirche so menschenfreundlich für alle zu gestalten. Der nächste Kirchentag wird vom 3. – 7. Juni 2015 in Stuttgart stattfinden. Lust bekommen, mitzufahren? Ich werde auf jeden Fall wieder dabei sein.

Martina Fritze

Alle Bilder © Martina Fritze.