Der Apostelbrief

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Es hatte geregnet, wie schon Jahre lang nicht mehr. Der Regen war so dicht, dass man kaum das Haus auf der anderen Straßenseite sehen konnte – ein echter Wolkenbruch. Der Abfluss im Kellerabgang war von Laub verstopft, so dass das Regenwasser nicht abfließen konnte und sich am unteren Ende der Treppe sammelte. Unaufhaltsam begann es, durch die Ritzen der Kellertür in den Keller des Hauses zu fließen.

Als der Besitzer des Hauses, ein begeisterter Maler und Zeichner, nach Hause kam, sah er die Bescherung: alle seine Bilder, Zeichnungen, Blöcke und Leinwände, die im Keller gelagert waren, schwammen in der trüben Brühe und waren zerstört.

Immer wieder machen wir Menschen die Erfahrung, dass nichts von dem, was wir haben oder sind, wirklich von Dauer und für alle Zeiten garantiert ist. »Nix is' fix« sagt man in Österreich.

Eine Kernbotschaft des Evangeliums ist der Aufruf zur Neuorientierung unseres Lebens. Immer wieder lädt uns Gott ein, unser Leben da, wo es nur um uns selber kreist, so zu ändern, dass Gott im Zentrum steht.

Diese Neuorientierung macht es oft nötig, Gewohntes und Liebgewonnenes loszulassen. Immer wieder berichten die Evangelien davon, dass Menschen, die Jesus nachfolgen wollen, etwas aufgeben. Simon und Andreas verlassen Boot und Netze, Haus und Familie. Matthäus verlässt seine Zollstation und verzichtet auf seine enormen Einkünfte. So wurden die Jünger frei, Jesus zu folgen und das Leben zu finden, dass ihr Schöpfer für sie vorgesehen hatte.

Oft sind es Dinge, die uns hindern, unserem Leben eine neue Richtung zu geben: alte Familienerbstücke, das elterliche Haus oder eine Sammlung, die wir mit viel Liebe und Mühe über Jahre und Jahrzehnte zusammengetragen haben.

Oder wir sind gefangen in unseren Gewohnheiten, in der Sorge um die Familie, in unserer Arbeit, oder in unseren ehrenamtlichen Tätigkeiten und Hobbies.

Ein Verlust, so tragisch er auch sein mag, kann uns aus so einer Gefangenschaft befreien. Der Maler kann nach dem Hochwasser vielleicht mit ganz neuen Ideen, Techniken oder Motiven neu anfangen.

Schöner ist es natürlich, wenn wir auch ohne traumatische Verluste erkennen, was uns »fesselt« und es schaffen, uns davon frei zu machen – um Gottes Willen.

-pv-