Der Apostelbrief

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Außenansicht: Kirche in der Krise?

Nach Ansicht von Erzbischof Georg Sterzinsky hat der Missbrauchsskandal die katholische Kirche in die schwerste Krise der Nachkriegszeit geführt, nach Hans Küng sogar in die tiefste Vertrauenskrise seit der Reformation. Was sind die Ursachen?

Vordergründig sicher die Verbrechen zahlreicher Geistlicher an ihnen anvertrauten Kindern. Da gab es auch Fälle in der evangelischen Kirche. Schlimmer wiegt allerdings in einer Institution mit besonders hohem moralischem Anspruch das systematische Vertuschungssystem, das auf die Wahrung des Ansehens der Kirche ausgerichtet war, die Opfer einschüchterte und so weiteren Straftaten Vorschub leistete. Und das betrifft eigentlich nur die katholische Kirche.

Nach Ansicht vieler liegen die Ursachen in deren Strukturen: Zölibat, Ausschluss von Frauen zum Priesteramt, Priestermangel, Intransparenz und eine unmenschliche Sexualmoral bedingen einander und schaffen ungünstige Rahmenbedingungen. Daher wünschen sich viele Katholiken Strukturreformen und sind enttäuscht, wie wenig sich bewegt. Entsprechend haben sich die Austritte in den letzten Monaten vervielfacht. Noch mehr bleiben, da sie glauben, dass man nur von innen etwas verändern kann. Aber die starre Hierarchie in der katholischen Kirche bietet dafür keinen Raum. Die Geschichte zeigt dagegen, dass die Reformation vor fast 500 Jahren einen sehr positiven Einfluss auf die Entwicklung auch der katholischen Kirche hatte. Da die evangelische Kirche insbesondere in Deutschland viele Strukturreformen bereits gemeistert hat, teils unter erheblichen inneren Spannungen, wäre für unzufriedene Katholiken ein Kirchenwechsel naheliegend. Den strukturellen Unterschied zeigen auch die unterschiedlichen Reaktionen der Bischöfin Käßmann und des Bischofs Mixa auf Verfehlungen, auch wenn sich eine Alkoholfahrt kaum mit Vorwürfen wegen Kindesmisshandlung und Veruntreuung von Stiftungsgeldern vergleichen lässt. Sie reagiert sofort, weil ihre moralische Autorität beschädigt sei, er leugnet und verharmlost die Vorwürfe, übernimmt nicht die Verantwortung und tritt erst auf massive öffentliche Kritik zurück.

Frank Puppe Prof. Dr. Frank Puppe hat den Lehrstuhl für Künstliche Intelligenz und Angewandte Informatik am Institut für Informatik an der Universität Würzburg inne. Seine Forschungsgebiete umfassen heuristische, modellbasierte und fallbasierte Problemlösungsmethoden für Wissensmanagement- und Tutorsysteme, Wissensakquisition und Lernen sowie die praktische Umsetzung der Methoden in technischen und medizinischen Anwendungen. Dr. Puppe gehört keiner Kirche an. Gerade von daher könnte sein Blick »von außen« interessant, lehrreich und zur Diskussion anregend sein.

Ich finde, die evangelische Kirche kann stolz auf ihre Entwicklung sein und sollte das auch in der Öffentlichkeit zeigen. Stattdessen hält sie sich mit Rücksicht auf die Ökumene sehr zurück. Umgekehrt gilt das nicht. Die päpstliche Glaubenskongregation hat 2007 die Kirchen der Reformation als keine »Kirchen im eigentlichen Sinn« herabgesetzt. Katholische Priester wie Hasenhüttl oder Kroll, die ein gemeinsames Abendmahl mit Protestanten gefeiert haben, wurden umgehend vom Priesteramt suspendiert. Dafür wirbt der Papst um die reaktionäre Pius-Bruderschaft, selbst wenn einer ihrer Bischöfe den Holocaust leugnet.

Da der ökumenische Dialog auf unteren Ebenen gut funktioniert, wäre vor dem Hintergrund einer zunehmend pluraler werdenden Gesellschaft eine Erweiterung sinnvoll. Ich wünsche mir eine Plattform für Menschen aller Religionen und Humanisten, die selbstkritische Reflexion mit dem Eintreten für universal menschliche und gerade auch christliche Werte verbinden.

Frank Puppe