Der Apostelbrief

Februar - März 2010
Voriger Apostelbrief
Dez. 2009 - Jan. 2010
Nr. 78
Nächster Apostelbrief
Apr. - Mai 2010

Fasching

Seine Bedeutung für Christen im Wandel der Zeiten

Nachdem zu Weihnachten »der Himmel Kopfstand machte« (Pfr. Riedel), ist es in der Zeit zwischen dem Dreikönigstag und dem Faschingsdienstag seit dem Mittelalter gesellschaftlich akzeptiert, die Welt auf den Kopf zu stellen. Krawatten werden abgeschnitten, um die patriarchalische Gesellschaft »zu entmannen«, soziale und politische Verhältnisse werden in die Bütt genommen, Faschingsprinzen inthronisiert, um politische Hierarchien und Rituale zu parodieren, ...

Dass die Faschingshochburgen in katholisch geprägten Gegenden liegen, kommt nicht von ungefähr. So stellt sich die Frage nach dem warum und dem Verhältnis der evangelischen und katholischen Christen zum Fasching.

Die Frage nach dem Ursprung von Fasching ist nicht eindeutig beantwortet. Wikipedia vermutet einen vorchristlichen Ursprung, in Frühlings- und Fruchtbarkeitsriten der antiken Mythologie. Demgegenüber steht die Meinung von Dr. Hansjörg Hemminger (Leiter der Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen in der Ev. LK Würt., Narri, Narro und die Kirche – Können Christen Fasching feiern?), der dies verneint und auf erste schriftliche Quellen im späten Mittelalter verweist. Fakt ist, dass die römisch-katholische Kirche das Fastnachtstreiben im Mittelalter geschickt in ihre Glaubenslehre integrierte. Karnevalsfeste wurden von manchem Papst, wie Papst Sixtus IV. (1471-1484), finanziell unterstützt, Narren wurden gesegnet und in Kirchen und Klöstern wurde kräftig gefeiert.

Mit der Reformation besannen sich die Christen von neuem auf christliche Werte. Aberglauben und falscher Moral wurde der Kampf angesagt. Fasten, um Gott zu gefallen – das sollte nicht sein. So gerieten die immer exzessiver gefeierten Faschingsfeiern, die trotz Strafandrohung am Aschermittwoch kein Ende fanden, in Verruf. Das Faschingstreiben und die Fastenzeit wurden in den evangelischen Gegenden teilweise ganz beseitigt. Aber auch in katholischen Gebieten erlebte der Fasching Hochs und Tiefs. Während der Zeit der Aufklärung zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert und unter Napoleon, der hinter jeder Maske einen Rebellen vermutete und seine Macht bedroht sah, kam es zu Krisen. Erst mit der Rückbesinnung auf das Mittelalter in der Romantik wurden alte Bräuche wieder belebt und erleben schließlich in der heutigen Spaßgesellschaft mit ihrer Sehnsucht nach volkstümlichen mittelalterlichen Traditionen eine Renaissance.

Seit den 1980er Jahren werden in den evangelischen Kirchen Fastenaktionen unter dem Motto »7 Wochen ohne« durchgeführt. Sie rufen zum freiwilligen Verzicht auf scheinbar unverzichtbare Lebensgewohnheiten in der Passionszeit auf, um dem Heiligen Geist Raum zu geben. Damit haben die evangelischen Christen ihr Verhältnis zum Fasten neu definiert und auch dem Fasching neue Akzeptanz verliehen.

fasching

Bedenkenswert ist, wie viel Erlebnishunger und Kommerz in der Faschingszeit akzeptabel sind. Jeder sollte im Hinterkopf behalten, dass auf Faschingsfeiern und Karnevalsumzügen oft übermäßig viel Alkohol genossen wird. Gleichzeitig steigen die Zahl von Alkoholvergiftungen, Randalen und Sachbeschädigungen im Umfeld der Veranstaltungen. Demgegenüber stehen wohlformulierte Büttenreden, die humorvoll darauf hinweisen, dass Würde und Besitz vergängliche Werte sind. Zum Glück ist die Angst vor der Verführung zum Okkultismus durch Hexenmasken und Teufelskostüme ausgestanden.

Es bleibt zu hoffen, dass es fast 500 Jahre nach der Reformation möglich ist, christliche Werte und Faschingfeiern auf einen Nenner zu bringen, ohne auf eines von beiden zu verzichten zu müssen.

-UG-