Der Apostelbrief

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Keine Fotos?

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Woran erkennt man am Urlaubsort einen Einheimischen? Er hat keinen Fotoapparat auf dem Bauch. In der Tat: Urlaubszeit ist Fotozeit. Die schönsten Wochen des Jahres sollen, wenn schon nicht mehr auf Zelluloid, so doch elektronisch konserviert werden. Wenn man sich dann an einem nasskalten Novemberabend die Urlaubsbilder ansieht, dann ist es so, als ob man wieder die Hitze des Sommers fühlt oder den Geruch des Meeres in der Nase hat. Vielleicht glaubt man noch, die Kuhglocken von der Alm oder das Nebelhorn an der Mole zu hören. Urlaubsfotos sind einfach eine feine Sache.

Und trotzdem kann man in den zehn Geboten nachlesen, dass wir uns »kein Bildnis machen sollen« (2. Mose 20)? In der islamischen Kunst wird dieses Gebot sehr ernst genommen. Dort sind Abbildungen von Tieren oder Menschen tabu. Und orthodoxe Juden mögen es gar nicht, fotografiert zu werden. Mag Gott vielleicht keine Familienschnappschüsse?

So schön Bilder als Urlaubserinnerung sein mögen – sie haben ihre Tücken. So mögen die wenigsten Menschen Fotos von sich selbst. Sie spüren, dass das Foto nicht ihre ganze Person widerspiegelt, sondern nur einen und vermutlich nicht den schmeichelhaftesten Teil davon. Hat man viele Fotos ein und derselben Person, aus verschiedenen Perspektiven, mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken und in verschiedenen Situationen, wird es etwas besser. Aber in jedem Fall stellt das Foto nur die äußere Erscheinung eines Menschen dar.

Kennt man einen Menschen persönlich und sieht dann ein Foto von ihm, kann man das einordnen in das, was man sonst noch über die abgebildete Person weiß. Kennt man einen Menschen allerdings nur von Fotos, hat man unter Umständen eine ganz falsche Vorstellung von ihm oder ihr. Und das kann sogar Absicht sein – so funktionieren Wahlplakate. Es ist also gefährlich, vom Bild auf den zu schließen, der abgebildet wird.

Deshalb sagt die Bibel, wir sollen uns kein Bildnis machen. Damit soll uns nicht der Spaß an der neuen Digicam verdorben werden. Aber wir sollen nicht das Bild mit dem verwechseln, was es darstellt. Die Völker im Alten Orient haben sich Figuren aus Stein, Holz, oder Metall gemacht und die dann angebetet. Für sie war die Gottheit tatsächlich in der Figur anwesend – und damit verfügbar. Auch die Israeliten hatten irgendwann die Nase voll von einem Gott, den man nicht sehen und nicht anfassen konnte – und haben sich ein goldenes Kalb gemacht.

Heute machen wir in Europa zwar keine Götzenbilder mehr, aber Bilder von Gott machen wir uns sehr wohl: Für die einen ist er der strenge Richter, für die anderen der liebe Opa mit weißem Rauschebart. Manche sehen Jesus als den ersten Sozialisten, die anderen als den unschuldig Gefolterten und wieder andere als den sanft dreinblickenden Mann im Nachthemd, wie er auf den Bildern der Nazarener dargestellt wird – vorzugsweise mit einem Lamm auf den Schultern.

Da wir Gott (noch) nicht von Angesicht zu Angesicht sehen können, ist es gar nicht zu vermeiden, das wir uns eine bildhafte Vorstellung von ihm machen. Die Bibel ist voll von solchen Bildern. Das ist auch so lange kein Problem, wie wir uns daran erinnern, das es sich um Bilder handelt, die nur einen kleinen Ausschnitt der Realität Gottes wiedergeben. Unterschiedliche Bilder, die sich vielleicht sogar zu widersprechen scheinen, erweitern unsere Wahrnehmung von Gottes Wesen. Die Herausforderung besteht darin, die unterschiedlichen Bilder nebeneinander stehen und gelten zu lassen.

In diesem Sinn, schöne Ferien und viele gelungene Urlaubsfotos!

-pv-