Der Apostelbrief

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Gebetsecke

Die Stadt versprüht ihren südländischen Charme, quirliges Leben erfüllt die kleinen Gassen. Kinder schreien, Motorroller heulen um die Kurven, die sengende Mittagshitze drückt. Da stehe ich plötzlich vor einer alten Kirche. Nichts besonderes, wahrscheinlich in keinem Reiseführer erwähnt. Aber magisch zieht sie mich an. Ich öffne die Tür und trete ein. Mit einem leichten Quietschen schließt sich die Tür hinter mir. Mit einem Mal bin ich in einer anderen Welt: Es ist kühl und ich bin von Stille umgeben. Nur dann und wann höre ich das Flüstern anderer Besucher weiter vorne. Die Augen müssen sich nach dem gleißenden Sonnenlicht erst an die Dunkelheit im Innenraum dieser Kirche gewöhnen. Nach und nach treten die Konturen hervor: Der Altar, die Bilder an den Wänden, die Figuren, der Marienaltar im Seitenschiff. Still stehe ich da und lasse die Stimmung auf mich wirken. Es ist nicht unbedingt mein Glaube, meine Frömmigkeit, die hier Gestalt gewonnen hat. Aber es ist eine Form der Frömmigkeit, eine Weise, christlich zu glauben, die auch meine Gedanken aus der äußeren Zerstreuung in das Herz der Welt, zu Gott lenken.

In einer kleinen Seitenkapelle brennen viele Kerzen auf einem über und über mit Wachs bedeckten Ständer. Ein junger Mann zündet gerade eine neue Kerze an und steckt sie in eine leere Halterung. Er verharrt kurz und geht dann seiner Wege. Ich, der ich nicht mit dieser Tradition aufgewachsen bin, spüre die Kraft dieser symbolischen Handlung und tue es ihm gleich. Dabei denke ich an die Menschen, denen ich verbunden bin, vor allem aber an die Kranken in meiner Familie und in meiner Gemeinde. Eine Kerze wird nun einige Stunden auch für sie brennen in jener unbedeutenden Kirche irgendwo in Südeuropa und Gott an sein Versprechen erinnern: »Rufet mich an in der Not, so will ich euch erretten«. Erholt und ein kleines bisschen verändert trete ich wieder hinaus in den Trubel der Stadt.

Gebetsecke
Gebetsecke

Vielleicht haben Sie schon ähnliches erlebt, liebe Leserinnen und Leser. Vielleicht haben Sie genau diese Möglichkeit, einfach zu jeder Zeit in die Kirche gehen zu können und die Welt für ein paar Momente draußen lassen zu können, hier in Gerbrunn schon öfter vermisst. Die Möglichkeit, sich still in eine Ecke setzen zu können, zu beten und vielleicht auch eine Kerze als sichtbares Symbol anbrennen zu können. Ich könnte Sie verstehen.

Leider ist unsere Apostelkirche – die viele Möglichkeiten bietet und mir sehr ans Herz gewachsen ist – in dieser Hinsicht nicht günstig. Man kann sie schlecht unbewacht offen stehen lassen. Schon der offene Windfang zwischen den beiden Außentüren hat in den ver gangen Jahren bereits das eine oder andere Mal zu Vandalismus eingeladen. Auch kann man brennende Kerzen in einem Holzhaus schlecht unbeaufsichtigt lassen.

Aber ganz wollen wir auf dieses Angebot trotzdem nicht verzichten und haben uns überlegt: Zumindest zu den Bürozeiten und vor und nach den Gottesdiensten soll Ihnen die Möglichkeit offen stehen, für sich alleine in der Kirche zu beten und eine Kerze anzuzünden. Anfangs wird diese Gebetsecke noch eher improvisiert wirken: Ein paar Stühle, ein Tischchen mit einer Schale Sand, Kerzen, wie Sie sie vielleicht vom Segnungsgottesdienst am Silvesterabend her kennen. Auch ein Buch mit leeren Seiten könnte in Zukunft da sein, in das sie – wenn Sie mögen – auch Gebete eintragen können. Erst mal nicht mehr. Je nach dem kann aber mehr daraus werden, vielleicht auch einmal ein richtiger Ständer für Kerzen oder Teelichter angeschafft werden. Aber das ist zweitrangig. Wichtig ist, dass Sie diese Möglichkeit für sich entdecken und wann immer Sie wollen auch nutzen.

Ihr Pfr. J. Riedel