Der Apostelbrief

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Schwierige Bibelstellen erklärt:

Ist die Erde in sieben Tagen erschaffen worden?

Die Antwort ist: Nein. Für die Erschaffung des Universums hat Gott sich etwa 13,7 Milliarden Jahre Zeit gelassen, die Erschaffung der Erde hat ungefähr 4,6 Milliarden Jahre gedauert und ist im Grunde immer noch im Gange. Dies gilt erst Recht für die Entwicklung der vielfältigsten Lebensformen auf unserem blauen Planeten, so dass man sagen kann: Die Schöpfung geschieht im Moment und wir sind mittendrin dabei.

Warum steht das dann nicht so in der Bibel? Antwort: Weil man es damals nicht wusste. Was man wusste, packte man selbstverständlich hinein in die Erzählungen vom Anfang. So beinhaltet die Bibel Texte mit unterschiedlichen »Wissensständen« zur Frage, wie Gott alles gemacht hat. Mit 1. Mose1,1-2,4a etwa haben wir wohl einen Text aus der babylonischen Gefangenschaft des Volkes Israel im 6. vorchristlichen Jahrhundert vor uns. Für die damalige Zeit und Umwelt hatte dieser Text – eigentlich ein Hymnus, ein Loblied auf Gott – regelrecht aufklärerische Elemente. Sterne und Sonne etwa werden als »Lampen« bezeichnet, die Gott ans Firmament anbringt. Sie sind also keine anzubetenden Gottheiten, wie die babylonische Umwelt glaubte. Ab Vers 4b in Mose 2 beginnt eine viel ältere Erzählung, in der das Hauptaugenmerk auf der Erschaffung des Menschen aus Lehm, die Suche nach einer geeigneten Partnerin und den von Gott gegebenen Auftrag (»Bebauen und Bewahren«) sowie die gesteckten Grenzen (»Baum der Erkenntnis«) gelegt wird. In archaisch-mythologischer Form tritt Gott als handelnde und sprechende Person auf und sucht die Menschen im Garten Eden, der scheinbar erst um den Menschen herum und für ihn geschaffen wurde.

Warum hat es jahrhundertelang nicht gestört, dass zwei so unterschiedliche, sich in vielen Aussagen widersprechende Texte in der Bibel nebeneinander standen?

Weil die Frage, wie Gott alles erschaffen hat völlig zweitrangig war gegenüber der (Glaubens-)Aussage, dass es eben Gott ist, von dem alles – wie auch immer – herkommt. Er hat uns gewollt – und natürlich auch alles andere. Er sucht die Partnerschaft mit den Menschen, gibt ihm Anteil an seiner Kreativität (»Bebauen«). Um was es hier also eigentlich geht sind theologische, nicht naturwissenschaftliche Aussagen.

Warum kam es dann doch zum Konflikt mit der Naturwissenschaft?

Zum Konflikt kam es, als die Naturwissenschaft meinte behaupten zu müssen, dass es nicht Gott gewesen sein kann, der die Welt ins Sein rief, sondern die Evolution, der Urknall usw. Und als umgekehrt die Theologie meinte behaupten zu müssen, dass es Gott genau so, wie es in der Bibel beschrieben ist und nicht wie es in der Naturwissenschaft erkannt worden war, gemacht haben müsse. Wenn Naturwissenschaft auf die Fragen nach Sinn, Wer?, Wozu? Antwort geben will und Glaubende meinen, die naturwissenschaftlich beschriebenen Wirkzusammenhänge, also das »Wie«, hinterfragen zu müssen, muss es zum Konflikt kommen. Aufgeklärte Vertreter beider Richtungen haben dies längst erkannt und achten sich gegenseitig in ihren Aussagen aus je ihren Blickwinkeln, die sie für »komplementär«, also sich gegenseitig ergänzend halten. Schließlich kann mir beispielsweise kein physikalisches Naturgesetz sagen, dass wir mit unserer Technik keinesfalls die natürlichen Lebensgrundlagen zerstören dürfen. Dies sagt uns – vielleicht – die Vernunft, ganz sicher aber die Offenbarung (»Bewahren«).

JR