Der Apostelbrief

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Der kleine Unterschied

Wenn im Herbst die Tage trüber und kürzer werden, gerät so mancher ins Philosophieren: woher kommen wir, wohin gehen wir, warum sind wir überhaupt da? Eine ganz wichtige Frage ist dabei: was macht eigentlich einen Menschen aus? Eine brandaktuelle Frage, wenn man an die derzeitigen Diskussionen um reproduktives Klonen, Abtreibung oder Sterbehilfe denkt. Aber auch im weniger spektakulären Alltag stellt sich uns immer wieder die Frage, wie wir mit unseren Mitmenschen, unseren Näch­sten umgehen. Und das hat ganz unmittelbar damit zu tun, was für uns den Wert eines Menschen ausmacht.

Ganz am Anfang der Bibel wird berichtet, wie Gott den Menschen erschafft: »Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen« (1. Mose 1,7).

Materiell besteht der Mensch aus denselben Stoffen wie die Erde, auf der er lebt und in der sein Körper eines Tages auch begraben wird, um wieder zu Erde zu werden. Und trotzdem ist der Mensch mehr als 80 Kilo Haut, Fleisch, Knochen und Innereien. Diesen »kleinen Unterschied« beschreibt die Bibel als »Atem Gottes«. Das Hebräische Wort ruach, das an dieser Stelle steht, wird im Alten Testament auch verwendet, wenn der Geist Gottes beschrieben wird, der Menschen verliehen wird und sie zu ganz besonderen Leistungen befähigt.

Als Saul König über Israel wird, gibt Gott ihm seinen Geist: »Und der Geist des Herrn wird über dich kommen, [...]; da wirst du umgewandelt und ein anderer Mensch werden« (1. Sam. 10,6). Als der Geist Gottes von Saul genommen wird, weil der den Anweisungen Gottes nicht gehorchte, ist sein Untergang besiegelt (1. Sam. 16,14). Auch unser Wort Seele, in dem wir das zusammenfassen, was die Identität eines Menschen ausmacht, wird im Hebräischen, wie im Griechischen mit dem Atem in Verbindung gebracht.

Der Atem oder Geist Gottes ist nicht unser Eigentum. Wir leben, weil Gott ihn uns verliehen hat und wir sterben, wenn er uns verlässt.

Das was uns als Menschen ausmacht, ist also unsere Verbindung zu dem Gott, der Himmel und Erde gemacht hat. In seiner Nähe leben wir, ohne ihn sterben wir.

Als Gott den ersten Menschen seinen Atem eingehaucht hat, hat er das mit Bedacht und Absicht getan. Der Mensch ist Mensch, weil Gott ihn gewollt hat. Das gilt auch heute noch und es gilt für jeden Menschen, sogar für die, die wir nicht leiden können, oder die uns sogar feindlich gesonnen sind.

Da kann man schon mal ins Philosophieren geraten.

-pv-