Der Apostelbrief

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Der volle Durchblick

Sind alte Menschen cool? Viele Enkel würden das erst einmal abstreiten: Omas Musikgeschmack ist absolut indiskutabel und Opas Haltung zu Motorrädern und dem Urlaub mit der Freundin sind Relikte aus dem letzten Jahrtausend. Und vom Internet haben beide ohnehin keinen Schimmer.

Trotzdem sind ältere Menschen gefragte Ratgeber: wenn die Eltern wieder mal in einem schwierigen Alter sind, sind es oft die Großeltern, die Jugendlichen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Obwohl oder vielleicht eher weil ältere Menschen nicht mehr jedem Trend des modernen Alltagslebens hinterhereilen, haben sie den größeren Überblick und damit häufig auch den besseren Durchblick. Genau das bedeutet »Weisheit«: die Dinge aus einer gewissen Distanz vor dem Hintergrund reicher Le-benserfahrung und im Wissen um die eige-nen Grenzen betrachten und beurteilen zu können. Alter führt allerdings nicht notwendigerweise zu Weisheit. Schon im Alten Testament wird die Weisheit als Geschenk Gottes bezeichnet (Spr. 2,6). Andererseits ist Alter auch keine unbedingte Voraussetzung für Weisheit: kurz nach dem Tode König Davids erschien Gott dem neuen und noch sehr jungen König Salomo im Traum, damit der sich etwas wünschen könne (2. Kön. 3,5 ff). Und was wünscht der sich? Ein schnelles Auto, schicke Frauen, einen Palast mit Whirlpool? Nichts dergleichen. Salomo wünscht sich »ein gehorsames Herz, damit er sein (Gottes) Volk recht richten könne, und verstehen, was gut und böse sei«. Mit dieser Bitte um Weisheit für seine Amtsführung beweist der junge Monarch, daß er schon kein blutiger Anfänger mehr in Sachen Weisheit ist.

Für die Athener der Spätantike, also in den ersten Jahrhunderten nach Christus war die »Liebe zur Weisheit«, die Philosophie, ein Nationalsport. Auf dem Marktplatz einem Redner zu lauschen, der mit brillianten logischen Schlüssen unterhalten konnte, war für sie so spannend wie für uns heute »Wetten dass ...« oder die Champions-League (siehe Apostelgeschichte 17).

Auf der anderen Seite der Ägäis, in Kolossä war das nicht anders. In seinem Brief an die Gemeinde in Kolossä warnt Paulus ausdrücklich vor philosophischen Schaumschlägern und akademischen Nebelwerfern: ihre Weisheit sei von Menschen erdacht und dementsprechend beschränkt (Kol. 2,8). Er hält dagegen mit dem Satz, der uns im neuen Jahr als Jahreslosung begleiten soll: »In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis« (Kol. 2,3).

Anders formuliert: wer den vollen Durchblick über Gott und die Welt haben will, muss die Welt durch die Brille Jesu sehen. Er/Sie muß seine/ihre Mitmenschen so sehen, wie Jesus sie sieht: als Geschöpfe Gottes und als Geschwister. Wer die Welt aus der Perspektive Jesu betrachtet, muß zu »unmodernen« Schlüssen kommen, etwa was die Treue angeht: beim Umgang mit Geld genauso wie in Liebe und Partner-schaft. Paulus argumentiert, daß man bei den »letzten Fragen« nach Sinn und Ziel des Lebens trotz aller philosophischen Erkenntnis letztlich doch jemanden fragen sollte, der sich mit sowas auskennt, der den Tod bezwungen hat und »Haupt aller Mächte und Gewalten« ist: Jesus Christus.

Die überzeugendsten Christen sind häufig keine ausgebildeten Theologen. Es sind vielmehr Menschen, denen man abnimmt, dass für sie Jesus der Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens und ihres Glaubens ist. Solchen Menschen zu begegnen erlaubt uns dann und wann, einen Blick auf die funkelnden »Schätze der Weisheit und der Erkenntnis« zu werfen, die in Christus verborgen liegen.

-pv-