Der Apostelbrief

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Starke Frauen der Kirchengeschichte

Vor einigen Monaten wurde ich gebeten, im Rahmen einer kirchlichen Veranstaltung in Augsburg ein kurzes Einführungsreferat anzubieten. Da die Veranstaltung am 8. März stattfand, einem mir sehr sympathischen Feiertag, wählte ich als Thema das in der Überschrift angegebene. Allerdings ist so ein umfassendes Thema natürlich ein „Fass ohne Boden“; daher habe ich mich auf zwei zentrale Frauengestalten der Mystik konzentriert, die trotz ihres zeitlichen Abstands von 400 Jahren einige interessante Gemeinsamkeiten aufweisen: Hildegard von Bingen (1098-1179) und Teresa von Ávila (1515-1582). Im folgenden gebe ich eine stark gekürzte Fassung meines Referats wieder.

Hildegard von Bingen wurde als 10. Kind ihrer Eltern traditionell für ein Leben im Dienste der Kirche bestimmt. Ihr Name ist untrennbar mit der deutschen Mystik verknüpft; sie widmete sich aber nicht nur religiösen Themen, sondern auch der Medizin, Ethik, Musik und Kosmologie. Man kann sie durchaus als renitent ansehen, denn sie geriet durch ihre Tendenz zur Lockerung der Bestimmungen ihres Klosters (etwa der Gottesdienstzeiten und Essensregeln) öfter mit dessen Abt in Konflikt. Sie hinterließ ein umfangreiches schriftliches Werk, u.a. eine „Naturkunde“ in 9 Büchern und eine „Heilkunde“ in 6 Büchern. Hierbei bediente sie sich eines kleinen Tricks. Ihr Leben war gekennzeichnet von heftigen andauernden Visionen. Und da nach damaliger klerikaler Auffassung Frauen zur Formulierung selbstständiger religiöser Kenntnisse und Erkenntnisse nicht in der Lage waren, führte sie ihre Aufzeichnungen auf ihre Visionen zurück. In ihrem Hauptwerk „Liber Scivias“ (um 1150) schreibt sie:

Ich sprach und schrieb diese Dinge nicht aus Erfindung meines Herzens oder irgendeiner anderen Person, sondern durch die geheimen Mysterien Gottes, wie ich sie vernahm und empfing von den himmlischen Orten.

Auch Teresa von Ávila stammte aus einer kinderreichen Familie: sie hatte 3 Schwestern und 9 Brüder. Mit zwanzig Jahren trat sie in den „Karmel der Menschwerdung“ (Santa María de la Encarnación) in Ávila in Kastilien ein. Zu dieser Zeit lebten im Konvent 40 Schwestern, doch wuchs deren Zahl wegen des enormen Frauenüberschusses in Spanien in wenigen Jahren auf 190. Wie Hildegard litt Teresa unter zahlreichen Visionen, auch Höllenvisionen, die sie nach den damaligen Vorstellungen beschrieb. Ihre bekannteste Vision war die sogenannte Transverberación, die Durchbohrung ihres Herzens, die sie so beschrieb:

Frauen der Kirchengeschichte

Ich sah einen Engel neben mir, [...] und zwar in leiblicher Gestalt, was ich sonst kaum einmal sehe. [...] Er war sehr schön, mit einem so leuchtenden Antlitz, daß er allem Anschein nach zu den ganz erhabenen Engeln gehörte, die so aussehen, als stünden sie ganz in Flammen. [...] Ich sah in seinen Händen einen langen goldenen Pfeil, und an der Spitze dieses Eisens schien ein wenig Feuer zu züngeln. Mir war, als stieße er es mir einige Male ins Herz, und als würde es mir bis in die Eingeweide vordringen. Als er es herauszog, war mir, als würde er sie mit herausreißen und mich ganz und gar brennend vor starker Gottesliebe zurücklassen. Der Schmerz war so stark, daß er mich [...] Klagen ausstoßen ließ, aber zugleich war die Zärtlichkeit, die dieser ungemein große Schmerz bei mir auslöste, so überwältigend, dass noch nicht einmal der Wunsch hochkam, er möge vergehen, noch dass sich die Seele mit weniger als Gott begnüge.

Eine berühmte Marmorstatue Berninis, die Teresa in mystischer Verzückung bei der Transverberation zeigt, steht in der Kirche Santa Maria della Vittoria in Rom (Foto des Autors).

Da beide Frauen ihre Erkenntnisse auf Visionen stützten, galten sie nur als „Medium“ und konnten daher nicht von offizieller Kirchenseite angegriffen wer-den. Nach heutigen medizinischen Erkenntnissen beruhten ihre Visionen auf schweren Erkrankungen. Hildegard litt offenbar unter einer chronischen Migräne, was auch die von ihr geschilderten Lichterscheinungen (Auren) erklären würde. Von Teresa nimmt man an, dass sie zeitlebens eine Brucellose hatte, d.h. eine bakterielle Infektion, die mit schweren Fieberschüben einhergeht. Mit 22 Jahren erkrankte sie sehr schwer und fiel in eine todesähnliche Starre, so dass man sie im Kloster schon für tot erklärte und das Grab aushob. Danach erholte sie sich, war aber noch drei Jahre lang gelähmt.

Hildegard von Bingen und Teresa von Ávila sind durch ihre Aphorismen bis heute in beiden christlichen Kirchen bekannt. Zum Abschluss möchte ich nur je einen davon zum Körper-Seele-Dualismus zitieren:

Hildegard: Der Seele Freude ist es, im Leibe wirksam zu sein.

Teresa: Tue deinem Leib des Öfteren etwas Gutes, damit Deine Seele Lust hat darin zu wohnen.

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Jürgen Appell