Der Apostelbrief

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Grußwort Pfarrerin Conrad

Autor

Liebe Leserin, lieber Leser,

wenn Sie an der Apostelkirche vorbei kommen, wird es Ihnen sofort ins Auge fallen: Das Plakat zur Jahreslosung, das von dem Künstler Eberhard Münch gestaltet wurde. Hier zeigen wir es für Sie.

„Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Dieser Vers aus dem 1. Buch Mose Kapitel 16 kommt förmlich mit Macht und Licht, blau und gelb unterlegt vom Himmel, in eine karge, wüste Landschaft. Das himmlische Wesen ist eigentlich viel zu groß für das Bild, es ragt an verschiedenen Seiten über das Grundmotiv hinaus. Dort in der Bildmitte: eine Frau mit Kind auf der Wanderschaft. Allein im dürren Land. Schöbe man die Himmelsgestalt, das Glaubensbekenntnis beiseite – wie eintönig wäre das Bild.

Du bist ein Gott, der mich sieht. Die alttestamentliche Magd Hagar findet diese Worte, als sie auf der Flucht ist. Sie ist schwanger von Abram. Ihre Herrin Sarai, Abrams Frau, hat es so angeordnet. Doch jetzt ist Sarai neidisch, weil es bei Hagar gleich geklappt hat – und Sarai selbst nicht schwanger werden kann. Da muss Hagar weg, der Platz als Hauptfrau, den sie sich wohl erhofft hatte, wird von Sarai besetzt und verteidigt. Hagar flieht – mit Kind, auch wenn es noch nicht geboren ist. Doch sie wird zurückgeschickt.

Der Engel des Herren, so steht es im Alten Testament, stellt sich ihr in den Weg und Hagar zur Rede: „Was tust du hier? Du bist doch Sarais Magd. Geh wieder auf deinen alten Platz zurück.“ Soweit, so trostlos. Erst als die Verheißung für das Kind erfolgt, die Zusage, dass es seinen Platz innerhalb der Familie haben wird, kann Hagar bekennen: „Du bist ein Gott, der mich sieht. Du weißt, wer ich bin; du kennst meinen Platz im Leben; du nimmst mir die Sorge um das Schicksal meines Kindes ab. Dass du mich siehst, heißt, dass du mich verstehst.“

So fremd uns die Geschichte um Sarai, Abram und Hagar auch sein mag: von Gott gesehen zu werden, wie wir sind, was wir sind, mit dem, was uns Sorge bereitet, das ist ein Zuspruch, mit dem wir gut im Jahr 2023 unterwegs sein können. In einer Welt, die voll ist von Menschen und Eindrücken, in der man das Gefühl haben kann, immer und jederzeit über alles und jeden informiert zu sein, bleiben wir doch oft mit dem allein, was uns im Innersten bewegt. Wer blickt schon hinter die Fassade – und wem erlauben wir überhaupt diesen Blick? In Gott ein Gegenüber zu haben, dem ich nicht zeigen, vormachen, erklären kann oder muss, was ich bin und kann, ist hilfreich, wenn der Lebensweg mal steinig und die Aussicht karg ist. Gott sieht mich. Und Gott sprengt den Rahmen dessen, was wir erwarten – so, wie sich die himmlische Gestalt im Bild von Eduard Münch nicht in das Motiv der Menschen auf der Flucht einzeichnet, sondern darüber hinaus weist.

Es grüßt Sie Ihre Pfarrerin Julia Conrad

Jahreslosung