Der Apostelbrief

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Innenansichten

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Wenn man sich bei Tag der Pfarrkirche St. Stephan in Mainz nähert, fällt der achteckige Turm auf, das schiefergedeckte Dach, die sandfarbenen Wände und das ziegelrote Maßwerk der gotischen Fenster. Die Scheiben der Fenster glänzen grau bis schwarz – unscheinbar.

Aber wenn man in die Kirche eintritt, verändert sich die Perspektive. Die vorher langweilig wirkenden Fenster leuchten plötzlich. Auf einem intensiv blauen Hintergrund erkennt man Figuren der Bibel. Mose, Jakob und andere Personen sind in leuchtenden Farben dargestellt und scheinen zu schweben, irgendwie nicht von dieser Welt.

Marc Chagall hat diese Fenster geschaffen, die St. Stephan zu Mainz weltweit berühmt gemacht haben. Aber um diese Kunstwerke wirklich in ihrer vollen Pracht zu sehen, muss man sich in die Kirche hineinbegeben.

So ähnlich ist das mit dem Glauben. Man muss nicht Christ sein, um die Bibel und Luthers Kleinen Katechismus zu lesen. Viele Nichtchristen akzeptieren diejenigen der zehn Gebote, die nicht direkt mit Gott zu tun haben als gute Grundlage für das menschliche Zusammenleben. Die Menschenrechte haben eine wichtige Wurzel in der Bibel, die den Menschen als Geschöpf Gottes beschreibt, der deshalb einen Wert an sich hat, unabhängig von Leistungsfähigkeit, Schönheit oder Gesundheit.

Aber das Wesentliche des christlichen Glaubens erfährt man auf diese Weise nicht, so wie man die Chagall-Fenster in Mainz erst in ihrer vollen Pracht erkennt, wenn man in die Kirche hineingeht.

Den christlichen Glauben, der im Kern die Aufnahme und Pflege der Beziehung zwischen Gott und Mensch bedeutet, kann man nur verstehen, wenn man sich darauf einlässt, wenn man sozusagen hineingeht. Den ganzen Reichtum des Glaubens erfährt man nur in der Innenansicht.

Deshalb ist es auch so schwer, anderen Menschen zu erzählen, was diesen Glauben ausmacht. Von außen betrachtet ist das, was ich als Gottes Fügung oder sogar als Wunder erkenne, einfach Zufall oder ein „ganz normaler Vorgang.“

Es gibt Menschen, die aufgrund von logischen Argumentationen und vielleicht durch systematisches Bibelstudium Christinnen oder Christen werden. Aber das sind die wenigsten. Die meisten erleben Menschen, die in ihrem Glauben leben und dadurch neugierig darauf machen, was hinter dieser Art zu leben steckt. Menschen, die ihren Glauben nicht nur von außen pflegen und polieren, sondern die sich ganz darauf einlassen und so die Gemeinschaft mit ihrem Herrn pflegen. Wenn man solchen Menschen begegnet, dann macht das Lust, sich auch selbst wieder neu auf den eigenen Glauben einzulassen, damit die Fenster wieder anfangen zu leuchten.

-pv-