Der Apostelbrief

Juni - Juli 1999
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Freunde kann man sich aussuchen ...

... seine Familie nicht. Und doch sind die Bindungen innerhalb einer Familie etwas ganz besonderes. »Blut ist eben dicker als Wasser«, sagt man. Dabei hat man es wirklich nicht immer einfach mit seinen Verwandten. Da gibt es verschrobene Onkel oder Tanten, Geschwister, mit denen man sich schon als Kind nicht verstanden hat oder Kinder, die von einem anderen Stern zu stammen scheinen. Aber trotz allem sind uns diese anstrengenden Zeitgenossen in der Regel nicht gleichgültig. Eben weil sie zur Familie gehören, verbindet uns ein Gefühl der Loyalität und – hoffentlich – des Respekts. Ganz ähnlich ist es in der Gemeinde der Christen. Auch hier werden wir mit den unterschiedlichsten Menschen konfrontiert, denen wir sonst vielleicht aus dem Weg gehen würden. Alte und Junge, alteingesessene Gerbrunner und Neuzugezogene, Alleinstehende und Familien treffen aufeinander. Sie alle verbindet nur eines: als Glaubende sind sie Kinder Gottes und damit Geschwister in Christus.

Nicht umsonst sind die Briefe des Neuen Testamentes an die »Brüder« und nicht an die »Freunde« gerichtet. An den Menschen, mit denen wir in unserer Kirchengemeinde konfrontiert werden, führt kein Weg vorbei, wenn wir selbst zu ihr gehören wollen. Sicher werden wir nicht allen Geschwistern gegenüber tiefe Zuneigung und Liebe empfinden. Aber es wäre schon viel gewonnen, wenn wir uns gegenseitig als Kinder desselben himmlischen Vaters und damit als gleichwertige Geschwister akzeptieren und respektieren würden. Als Schüler war ich häufig in der Familie eines Schulkameraden zu Gast, der noch drei Brüder hatte. Ganz selbstverständlich haben sie mich, wann immer ich dort war, als Teil der Familie mit (fast) allen Rechten und Pflichten akzeptiert, was ich besonders genossen habe, da ich keine leiblichen Geschwister habe. Dort habe ich gelernt, wie wichtig Geschwister sind, die für einen einstehen, die einen aber auch korrigieren, wenn man auf dem Holzweg ist.

Immer weniger Menschen können sich auf den Rückhalt einer großen und stabilen Familie verlassen. Entweder weil sie keine haben oder weil sie in großer Entfernung von ihrer Familie leben. Denn auch im Zeitalter globaler Kommunikation ist die persönliche Beziehung zu Menschen »vor Ort« durch nichts zu ersetzen. Deshalb sollten gerade die christlichen »Gemeinde-Familien« offen sein für Menschen, die sich nach verläßlichen Beziehungen sehnen. Nicht zuletzt, um sie auf das Vorbild unserer unvollkommenen Beziehungen hinzuweisen: die rückhaltlose Liebe Gottes zu uns Menschen.

-pv-