Der Apostelbrief

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Einige Gedanken zur Theologie Luthers, Teil 3

Von der Entmachtung der Sünde und vom unfreien Willen

Entmachtung der Sünde

Angesichts der Macht der Sünde und der Aussicht auf das göttliche Gericht bleibt nur Verzweiflung. Dies haben wir im letzten Teil gesehen. Es sei denn, dass Gott eingreift und unsere Rettung zu seiner Sache macht. Dass er das getan hat, davon ging die mittelalterliche Theologie durchaus aus. Der Verdienst des Todes Christi am Kreuz - eingegangen in die Sakramente der Kirche - gleicht aus, was durch die Sünde im Menschen zerstört war. Nun hat der Mensch zumindest eine Chance vor dem Weltenrichter zu bestehen. Wenn er am Ende genug gute Werke vorzuweisen hat.

Diese Vorstellung konnte Luther nicht beruhigen. Wann soll man denn genug gute Werke getan haben? Wann darf man denn sicher sein, dass sich die Waage im Gericht tatsächlich zur rechten Seite neigt?

Das war seine innere Situation, als er - wohl während seiner Beschäftigung mit dem Römerbrief im Jahr 1518 und nach einer längeren Entwicklung - die grundstürzende Entdeckung macht, dass mit der Gerechtigkeit, von der Paulus etwa Röm 1,17 spricht, und die im Evangelium sichtbar wird, nicht eine verurteilende, sondern eine neu schaffende Gerechtigkeit gemeint ist. Eine Gerechtsprechung und Gerechtmachung! Gott spricht uns durch das Evangelium von Christus gerecht und frei. Wer das glaubt, ist gerettet. Ist ein befreiter Mensch. Mit Christus in seiner Gottesunmittelbarkeit ist er - wie er in seiner vielleicht wichtigsten Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ aus dem Jahre 1521 schreibt - was den inneren Menschen angeht - ein freier Herr, ein Priester und König geworden. Denn in einem „fröhlichen Wechsel“ wechselt er die Kleider mit uns. Zieht unsere verdreckten an und umhüllt uns mit seinen unbefleckten königlichen Gewändern. Seine unendliche Gerechtigkeit verschlingt unsere endliche Ungerechtigkeit. Der Tod des Sündlosen am Kreuz verschafft den Sündern Leben. Und all das passiert im Glauben. Einzig im Glauben. Im Glauben, der durch das Hören auf das Evangelium erweckt wird: „Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben;1 wie geschrieben steht (Habakuk 2,4): »Der Gerechte wird aus Glauben leben.«“ (Röm 1,17)

Luthers ganze Theologie will verstanden werden als ein Lobgesang auf diesen in Christus aus lauter Gnade gerecht machenden Gott. Und alles, was an seiner Theologie schwierig und unlogisch und schwer verdaulich erscheint, hat seinen Grund in seinem hartnäckigen Festhalten an der Heilsgewissheit, die allein aus dem Glauben an diesen durchChristus befreienden Gott erwächst. Die ganze Bibel muss von diesem Urergeignis her gelesen werden - was zu manchmal aus unserer Sicht etwas schrägen Deutungen v.a. in alttestamentlichen Texten führt. Das Wesen Gottes muss von daher verstanden werden - und was nicht zu passen scheint, muss man als göttliches Geheimnis stehen lassen.

Gelobt sei Gott, der sich uns in Jesus gnädig zugewandt hat und uns von der Macht der Sünde befreit hat. Gelobt sei Gott, der dieses Heil dem im Glauben seine Hände Auftuenden schenkt - und nicht dem, der meint, er könnte Gott mit guten Werken beeindrucken.

Aber wie steht es bei einer solchen Konzeption mit unserem Beitrag? Können wir zu unserer Rettung gar nichts dazu tun? Eine solche Vorstellung verletzt unser Selbstbewusstsein. Wie steht es mit unserer Fähigkeit, immerhin ein relativ gutes Leben zu führen? Ist das nichts wert vor Gott? Und haben wir nicht als vernunftbegabte Menschen einen freien Willen, der ein Stück unserer Würde ausmacht und mittels dessen wir uns zumindest Gott zuwenden oder von ihm abwenden können? So argumentiert z.B. Erasmus von Rotterdam in seiner Schrift „De libero arbitro“. In seiner Entgegnung „Vom unfreien Willen“ aus dem Jahr 1525 sagt Luther ganz klar: Nein! In diesen Dingen gibt es keinen freien Willen und er verwendet zur Illustration ein drastisches Bild:

„So ist der menschliche Wille in die Mitte gesetzt, wie ein Zugthier; wenn Gott darauf sitzt, so will und geht er, wie Gott will, wie der Psalm (73, 22.) sagt: „Ich muß wie ein Thier sein vor dir. Dennoch bleibe ich stets an dir.“ Wenn der Teufel darauf sitzt, so will und geht er, wie der Teufel will, und es steht nicht in seinem Belieben, zu einem der beiden Reiter (sessorem) zu laufen, oder ihn zu suchen, sondern die zwei Reiter streiten darum, ihn zu erlangen und zu besitzen.“

Luther ist da ganz klar: Die Sünde hat nicht nur unsere Hände und Füße infiziert, sondern auch und gerade unser Denken, Empfinden und Wollen. Wir finden es schön, vom Teufel geritten zu werden und wollen gar nichts anderes. So wie ein Raucher diesen Kitzel, der ihn immer wieder antreibt, sich eine anzuzünden, eigentlich schön findet. Er will es gar nicht anders. Wenn er es wirklich wollte, könnte er aufhören, von heute auf morgen. Aber das ist ja gerade das Perfide an der Sucht: Sie bewirkt, dass er es nicht will.

So sind wir süchtig nach unserem Leben jenseits von Eden, jenseits von Gott, mehr noch: Es zieht uns immer weiter weg von Gott. Nein, nicht gegen unseren Willen. Wir wollen es gar nicht anders. Wir stimmen freudig zu. Wie schreibt Paulus in Röm 7: Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. 20 Wenn ich aber tue, was ich nicht will, so tue nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt.

In dieser Lage hilft also kein Appell an den Willen des Menschen. In dieser Lage hilft nur Heilung, Erlösung, Eingriff von außen. Aber nochmals: Können wir nicht zumindest ein wenig mitwirken mit Gott, was unsere Erlösung angeht? Im Sinne einer guten Zusammenarbeit? Dieser Frage gehe ich nächsten Beitrag nach.

-JR-