Der Apostelbrief

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Einige Gedanken zur Theologie Luthers, Teil 2

Von der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen

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Wenn wir Luthers Theologie verstehen wollen, müssen wir uns erst mal weit von unserem neuzeitlichen Lebensgefühl distanzieren, das da sagt: Ich bin ein freier Herr meiner Taten. Jeder ist seines Glückes Schmied. Jeder ist für sein Tun verantwortlich, denn es entspringt seinem freien Willen. Dass dieses Denken heute durch die Natur-, insbesondere die Neurowissenschaft infrage gestellt wird, sei nur am Rande erwähnt. Noch haben deren Einsichten kaum unser Lebensgefühl, das aus dem Humanismus und der Aufklärung stammt, verändert.

Wenn man Luther verstehen will - und mit ihm glauben will - dann bedeutet das zuallererst das beiseitezulegen, was der Mensch sich selbst über Gott, die Welt und vor allem sich selbst sagen zu können meint und ganz und gar auf das zu schauen und zu hören, was Gott über all dies zu sagen hat. Und wo anders sollte dies zu finden sein, als in der Heiligen Schrift? Nützliche Dinge des alltäglichen Lebens, ja die kann ein Mensch selbst herausbekommen und durch Wissenschaft und Kunstfertigkeit entwickeln. Aber alles, was wesentlich ist, kann er sich nicht selbst sagen, das muss er sich sagen lassen.

Und darum muss man als Erstes verstehen, dass dieser überaus kluge Mann seinen Verstand zwar nicht aufgegeben hat, aber ihn ganz und gar in den Dienst dieser Schrift gestellt hat, die er als den Niederschlag der göttlichen Offenbarung angesehen hat. Mit Luther zu glauben heißt also zunächst, an die Offenbarungsqualität der Bibel zu glauben. Das war das Prinzip „sola scriptura“ - „allein die Schrift“ - von dem ich schon im letzten Teil geschrieben habe.

Mit Luther zu glauben, heißt darum auch daran zu glauben, dass wir jenseits von Eden leben, in einer gebrochenen Welt, mit nur noch einer Ahnung von Gott, mit einem - auch zeitlich - begrenzten Leben. Mit Luther glauben, heißt an den Fall des Menschen zu glauben, von dem wir alle herkommen. Mit Luther glauben, heißt an die verlorene Freiheit des Menschen zu glauben.

Denken Sie an die Legende von Münchhausen, der versucht, sich selbst am Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Im Bild steht der Sumpf für die versklavende Macht der Sünde, der drohende Tod für die Verdammung im jüngsten Gericht. Das Perfide an der Sünde ist, dass sie sich selbst verleugnet und verschleiert und dem Menschen vorgaukelt, es sei doch alles zum Besten.

Und selbst wenn ein Mensch - aufgerüttelt durch die Predigt vom göttlichen Willen - anfinge sich nach Befreiung aus diesem Schlamassel zu sehnen, würde ihm die Sünde einflüstern, er könne das selbst schaffen, sich aus diesem Sumpf zu befreien, durch gute Werke, Stiftungen und Selbstkasteiungen. Sie würde ihm einflüstern, er könne sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen - und er würde es glauben. Dabei würde ihn das Gute-Werke-Gezappel nur immer weiter hineinziehen in den Sumpf. Denn er wäre ja unentwegt mit sich selbst beschäftigt und bekäme gar nicht mit, wenn ihm Hilfe von außen angeboten würde.

Das war das Lebensgefühl Luthers vor seiner großen Entdeckung im Römerbrief. Ich zappele mich ab und versinke doch nur immer mehr in der Sünde. Am Ende stehe ich vor einem göttlichen Richter, der - ob er will oder nicht - mich verurteilen muss.

Ja, liebe Leserinnen und Leser, wenn Sie nicht an das jüngste Gericht glauben und die Korruption unserer Fähigkeiten, besonders unserer Fähigkeit, im Einklang mit Gott zu leben, ihn zu lieben und zu vertrauen, dann werden Sie Luther nie verstehen. Aber auch keine andere christliche Theologie bis in die Neuzeit hinein. Übereinstimmend sagen die meisten namhaften Theologen nämlich genau wie Luther: Seit dem Sündenfall sind wir nicht mehr fähig, nicht zu sündigen. Uns also nicht immer weiter von Gott weg zu bewegen.

Sie haben das bei Augustin und damit letztlich bei Paulus gelernt, der im Römerbrief etwa schreibt: „Deshalb, wie durch „einen“ Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und der Tod durch die Sünde, so ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, weil sie alle gesündigt haben.“ Röm 5,12

Das wird in der christlichen Theologiegeschichte meist so gedeutet, dass die ersten, noch mit Gott geeinten Menschen, am Ende ihres irdischen Daseins einen automatischen und schmerzlosen Übergang in das Leben bei Gott gefunden hätten. Durch die Übertretung des göttlichen Gebots und der damit verlorenen Einheit mit Gott ist dies verloren gegangen - für sie und alle Nachkommen. Stattdessen erwartet uns das Gericht Gottes, gesprochen durch den Weltenrichter Christus. Es erwartet uns ein heilloses Ende. Der ewige Tod. Oder Schlimmeres.

Angesichts der Macht der Sünde und der Aussicht auf das göttliche Gericht bleibt nur Verzweiflung. Es sei denn, dass Gott eingreift und unsere Rettung zu seiner Sache macht.

Ob und wie er das ggf. tut, darum wird es im nächsten Teil dieser Serie gehen.

-JR-