Der Apostelbrief

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Drei Gedanken zur Flüchtlingsfrage

Ein Leserkommentar

Zur Diskussion über die immer noch aktuelle Flüchtlingsfrage möchte ich drei Gedanken beisteuern, wobei mir der dritte besonders am Herzen liegt. Natürlich geben diese Gedanken meine persönliche Meinung wieder, die sicher diskutabel, vielleicht punktuell einseitig, aber hoffentlich nicht faktisch widerlegbar ist.

1. Obwohl ich nicht mit der AfD sympathisiere, kann ich ihrer Erstarkung in den letzten Monaten durchaus positive Aspekte abgewinnen. Sie hat nämlich dazu geführt, dass die Politiker der etablierten Parteien endlich beginnen, die vielen aktuellen Probleme im Land in ihren zahlreichen Facetten anzugehen, ja überhaupt wahrzunehmen, statt sich immer nur mit sich selbst zu beschäftigen. Ähnlich wie die Gründung der Grünen-Partei 1980 den indirekten Effekt hatte, dass der Umweltschutz erstmals Thema der Politik wurde, hat die AfD bewirkt, manchen Politikern klarzumachen, dass ihr Auftrag nicht nur in Wirtschaftsförderung, Machterhalt und der eilfertigen Bedienung von Lobby-Interessen besteht, sondern auch und vor allem in der Fürsorge für die Menschen, die schon immer hier leben . Um Missverständnissen vorzubeugen: ich vergleiche hier nicht die hehren Ziele der Grünen (Umweltschutz) inhaltlich mit den fragwürdigen Zielen der AfD (Flüchtlingsabwehr), sondern nur die Wirkung auf die etablierten Parteien: diesen laufen die Wähler davon, und das ist gut so. Noch einmal zur Vermeidung von Missverständnissen: Wer den Teufel an die Wand malt, mit dem andere politisch hausieren gehen, muss längst nicht mit jenen sympathisieren.

Ich glaube auch nicht, dass die zahlreichen Wähler der AfD, vor allem in Sachsen und Sachsen-Anhalt, durchweg rechte Dumpfbacken sind. Eines ihrer Motive besteht wohl vielmehr darin, dass sie sich nicht – wie in langjähriger DDR-Erfahrung – von der Politik vorschreiben lassen wollen, wie sie zu denken und zu reden haben. Diese Diktatur der political correctness wurde in den USA derart auf die Spitze getrieben, dass sie einem grenzdebilen Polit-Pöbler wie Donald Trump die Wähler scharenweise in die Arme treibt. Ganz nach der simplen amerikanischen Denkungsart („we are the good ones!“) beschränken sich leider auch hierzulande viele Politiker darauf, die AfD zu dämonisieren, statt sich der Anstrengung einer argumentativen Diskussion zu unterziehen – wo es doch so viele und so gute Argumente gegen die Thesen der AfD gibt. Die meisten der hier ankommenden Schutzsuchenden bedürfen verzweifelt und traumatisiert unserer Hilfe, und eine Abschottung wäre weder durchführbar noch erstrebenswert: ich möchte jedenfalls nicht in einem Paradies leben, das von Stacheldraht umgeben ist.

2. Politiker aller Parteien reden gern davon, man „müsse die Situation der Flüchtlinge in ihren Herkunftsländern verbessern“, um den Fluchtursachen den Boden zu entziehen. Nur: Was meinen sie damit, und wie soll das praktisch aussehen? Meist wird dann vorgeschlagen, unreflektiert Geld in die Herkunftsländer zu pumpen, aber man ahnt, dass dies ineffektiv ist und manchmal nur das korrupte heimische Regime stärkt.

Hier ist ein Alternativvorschlag. Deutsche Firmen wie MBB, Heckler & Koch, Kraus-Maffei und viele andere exportieren in großem Umfang Waffen in Entwicklungs- und Schwellenländer, über Umwege selbstverständlich auch in Krisengebiete, und bringen damit über diese Länder massenweise Tod und Verzweiflung. Beispielsweise haben Berechnungen des Friedenspreisträgers Jürgen Grässlin ergeben, dass mit Gewehren von Heckler & Koch alle 13 Minuten ein Mensch in diesen Krisengebieten ermordet wird (Quelle: Schwarzbuch Waffenhandel). Die Deutsche Bank, die Allianz, Goldman Sachs und andere spekulieren an der Börse auf steigende Lebensmittelpreise und erzeugen damit in armen Ländern Hunger und Elend. Beispielsweise sind dadurch die Maispreise in Äthiopien um 100 % gestiegen, die Weizenpreise in Somalia sogar um 300 % (Quelle: FAO). Meines Erachtens sollten die Vorstände dieser Firmen verhaftet, in einer Art Neuauflage der Nürnberger Prozesse wegen ihrer Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt und lebenslang eingesperrt werden. Und natürlich sollte ihrem Treiben rigoros und unumkehrbar Einhalt geboten werden. Dann wäre viel für den Weltfrieden getan, und insbesondere für die Bekämpfung einer wesentlichen Ursache millionenfacher Flucht

3. Das Wort von der Flüchtlingskrise, das ich oben wohlweislich vermieden habe, hat natürlich eine negative Konnotation. Man kann die Ereignisse seit dem letzten Sommer auch ganz anders deuten. Ist die Ankunft so vieler Schutzbedürftiger nicht eine wunderbare Gelegenheit, die Barmherzigkeit Gottes, die wohl viele von uns in schweren Zeiten schon erfahren durften, anderen Menschen zurückzugeben? Kann der Anblick dieses Elends nicht auch dazu dienen, uns mit unseren (vermeintlichen oder tatsächlichen) eigenen Problemen mal wieder zu „erden“? Hat diese Herausforderung nicht vielleicht sogar das Potential, unser – wie es Pfarrer Riedel im Apostelbrief 115 so treffend formuliert – „schläfrig gewordenes Christsein zu neuem Leben [zu] erwecken?“

Besonders eindringlich und pointiert hat das Georges Casalis formuliert, ein evangelischer Pfarrer, der sich während des Kriegs an den Aktivitäten des CIMADE (Comité inter mouvements auprès des évacués) beteiligt hat, einer Hilfsorganisation für Flüchtlinge und Migranten in Frankreich. Casalis beschreibt 1940 die starke geistliche Erfahrung, die mit der Unterstützung von Flüchtlingen für viele Christen verbunden war, mit diesen Worten: „Zunächst meinten wir Menschen in Not zu helfen, stattdessen entdeckten wir, dass sie es waren, die uns zu Hilfe kamen, indem sie uns durch ihre unabänderliche Anwesenheit und Erwartung zwangen, aus uns herauszugehen, aus unserem Komfort und unserer Feigheit, unserem Schweigen und unserem Mitläufertum. Ihre Anwesenheit und ihr Leiden führten uns zum Leben zurück, zu einem offenen und hingegebenen Leben, zur Entdeckung des eigentlichen Sinns und Kerns unserer selbst: dem Anderen zu begegnen, dem, der uns von einer Todesart rettet, die schlimmer ist als alle anderen: dem egoistischen Rückzug auf sich selbst und der empfindungslosen Vereinzelung.“

–ja-


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