Der Apostelbrief

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Die rote Linie überschritten

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Eine weit verbreitete Ansicht besagt, dass man das Christsein eines Menschen nicht von außen beurteilen kann. Ob ich Christ bin, kann nur ich selbst und der liebe Gott wissen. Denn da geht es ja um den Glauben und der Glaube ist Sache des Herzens. Er lässt sich weder an bestimmten Taten (auch Atheisten handeln oft gut und „nächstenlieb“), noch an der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kirche dingfest machen (sonst müsste ich ja all den Angehörigen anderer Kirchen ihr Christsein absprechen). Ich selbst hing lange Zeit dieser Einstellung an. In einer Kirche groß geworden, die ohne kirchliches Lehramt auskommen „muss“, weiß ich darum, dass man um die richtigen Konsequenzen aus dem Glauben ringen muss. Ich kann niemandem seinen Glauben absprechen, der es nach reiflicher Überlegung mit seinem christlichen Gewissen für vereinbar hält, Soldat zu werden. Oder konventionelle Landwirtschaft zu betreiben. Diese Einsicht rührt nicht aus dem vielgeschundenen Toleranzgedanken, der oft nur der Verschleierung der Gleichgültigkeit dient. Nein, er ist die Konsequenz des Glaubens an das befreite Gewissen eines Christen, der in mündiger Verantwortung vor Gott und seinen Mitmenschen zu eigenen Entscheidungen finden darf. So weit so gut und richtig.

Nun aber hat der Wahlsonntag der AfD in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt durchweg zweistellige Ergebnisse eingebracht. Irgendwo habe ich gelesen, dass sich diese Partei mehr und mehr zum Auffangbecken bestimmter christlich-fundamentalistischer Kreise entwickelt.

Und da ist für mich tatsächlich eine rote Linie überschritten. Ich behaupte, man kann nicht gleichzeitig Christ sein und eine Partei wählen oder ihr gar angehören, deren Vorsitzende vorgeschlagen hat, notfalls auf Flüchtlinge zu schießen, sollten sie die deutsche Grenze unerlaubt überqueren wollen. Sogar auf Frauen und Mütter. Die Kinder hat sie später wieder zurückgenommen. Und AFD-Vizechef Alexander Gauland fordert im Zeitmagazin: „Wir müssen die Grenzen dicht machen und dann die grausamen Bilder aushalten“, man könne sich nicht von Kinderaugen erpressen lassen. Danach vergleicht er Schutzsuchende mit einem Wasserrohrbruch. Den würde man auch abdichten.

Ich weiß nicht, ob Herr Gauland oder Frau Petry wirklich einmal in die Augen eines Flüchtlingskinds geschaut haben und sich von ihren Müttern ihre Schicksale haben erzählen lassen. Vielleicht haben sie sich das nie getraut. Dann könnte ich solche Entgleisungen vielleicht noch verzeihen. Denn wenn sie es je getan haben und dennoch so reden, dann würde das für eine Kaltherzigkeit sprechen, die ein Maß erreicht hat, dass es mit christlichen Vorstellungen in keiner Weise mehr zu vereinbaren ist. Für mich ist hier eine rote Linie überschritten. Wer AfD wählt und diese Ansichten teilt, kann in meinen Augen nicht mehr für sich reklamieren, er sei Christ.

Diese Ausgabe des Apostelbriefs zeigt in vielen ► Bildern, dass der Blick in die Augen der bei uns - auch in Gerbrunn - Schutzsuchenden lohnen kann und vielleicht sogar ein schläfrig gewordenes Christsein zu neuem Leben erwecken kann.

Ihr Pfr. J. Riedel