Der Apostelbrief

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Einen zweiten Blick wagen...


Autor

Liebe Gemeinde!

Sie kennen das sicher auch: man begegnet einem Menschen das erste Mal. Da sind nur diese wenigen Sekunden. Und schon haben wir uns ein Bild gemacht, die Person in unsere Denkkategorien eingeordnet, sie in die eine oder in die andere Schublade gesteckt. Wir haben einen Eindruck von ihr gewonnen – den ersten Eindruck, der so entscheidend ist. Da geht es mir nicht anders als Ihnen.

Doch ist das wirklich das richtige Bild, was wir dann haben? Spiegelt das wirklich den Menschen mit all seinen Talenten, Eigenarten und Charaktereigenschaften wider? Haben wir nicht auch schon andere Erfahrungen gemacht? Und verschwenden wir nicht so viel – Talente oder aber gute Gespräche, die wir vielleicht geführt hätten, wäre da nicht dieser erste Eindruck gewesen?

Genau hinschauen, einen zweiten und einen ehrlichen Blick wagen, hinter die Fassade, hinter die Maske schauen, die oft kunstvoll aufgebaut wird. Masken, die bestehen, weil wir vielleicht enttäuscht wurden, Verletzungen in uns tragen oder aber eine ganz bestimmte Rolle haben, von der erwartet wird, dass man eben so zu sein hat. Genau hinschauen und hinterfragen – das habe ich mir für 2016 vorgenommen.

Es wird nicht immer einfach sein. Denn wie gerne halten wir an unserem ersten Eindruck fest, wollen ihn nicht verlieren und über Bord werfen. Denn das macht uns Arbeit. Wir müssen nun wieder neue Bilder anlegen, müssen uns ernsthaft auseinandersetzen. Das kostet Zeit und Energie. Aber würden wir nicht viel gewinnen, wenn wir unseren ersten Eindruck verlieren und einen erneuten, einen unbefangenen Blick wagen würden?


Max Frisch hat hier eine klare Position. Er fordert dazu auf, sich überhaupt keine Bilder über Menschen zu machen. Denn Bilder stehlen die Zukunft, da sie diese schon immer mit Vorgaben besetzt und somit den Menschen halten will und nicht sein lässt.

Ein schöner Vorsatz, aber auch alltagstauglich? Wäre es nicht schon ein guter Anfang, wenn wir beginnen würden, uns nicht nur ein Bild, sondern viele Bilder übereinander zu machen? So wie es auch das Gebot „Du sollst dir kein Bild machen“ über das Gottesbild vorsieht. Auch hier ist die Intention, Gott eben nicht auf ein Bild einzuengen, sondern seine unterschiedlichen Facetten in vielen Bildern zum Leuchten zu bringen und somit auch seine Unverfügbarkeit zu unterstreichen.

Und so bleibt mein Vorsatz für das neue Jahr: Bilder überdenken und Bilder anlegen, die den Menschen ernst nehmen, die ein genaues Hinsehen erfordern und Veränderungen zulassen.

Das neue Jahr ist nun schon einige Tage alt. Wir haben schon einige Erfahrungen und Erlebnisse gemacht. Vielleicht haben wir das neue Jahr schon so oder so abgestempelt. Wagen wir doch auch hier einen zweiten, frischen Blick. Das neue Jahr hat es genauso verdient.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gutes Jahr 2016 und ich hoffe, dass Sie öfter positiv überrascht werden und sich denken: Wow, das hätte ich ja jetzt gar nicht erwartet!

Es grüßt Sie herzlich,

Ihre Kristin Orth